In Marokko klettern Ziegen auf Bäume: Sie sitzen auf den Ästen und beobachten die Umgebung. Für Touristen ist dies ein beliebtes Fotomotiv. Doch wieviel Wahrheit steckt in den „Baumziegen“ von Marokko wirklich?
Wer von einer Marokko-Reise zurückkehrt, hat viele Fotos im Gepäck. Darauf zu sehen sind meistens die verwinkelten Medinas der alten Städte, Wüstensand, Basara, Kamele und Esel. Ein Motiv taucht aber seit mehreren Jahren auch immer häufiger in den Fotosammlung von Urlaubern auf: Ziegen, die ohne mit der Miene zu zucken auf den Ästen von Bäumen balancieren.
Ist dies wirklich ein einzigartige Erscheinung, die man so nur in Marokko findet? Oder wurde das etwa nur für die Touristen inszeniert?
Die Ziegen auf den Bäumen fressen die Arganfrucht
Die sogenannten „Baumziegen“ findest du in der marokkanischen Souss-Ebene zwischen Agadir und Marrakesch. Die zotteligen Tiere probieren hier an die Äste der Bäume zu gelangen, klettern und stehen teilweise sogar darauf. Ein skuriller Anblick!
Dafür verantwortlich sind die Arganbäume, die hier wachsen. Die Früchte der Bäume sehen wie eine Mischung aus Oliven und gelben Pflaumen aus. Angebaut werden sie in Nordafrika schon seit vielen Jahrhunderten. Besonders wertvoll sind die Kerne der Arganfrucht, die morphologisch als Beere gilt. Manchmal werden diese Kerne auch umgangssprachlich als Nüsse bezeichnet. Aus ihnen lässt sich ein erlesenes Öl gewinnen, das traditionell nicht zum Braten und Kochen sondern als Brotbeilage verwendet wird. Manchmal findet man es auch in Salaten wieder oder für kosmetische Anwendungen. Die Herstellung ist ziemlich aufwendig: Für 1l Arganöl braucht man durchschnittlich stolze 30kg Früchte.
Die Ziegen interessieren sich aber nicht nur für die Früchte, sondern auch für die Blätter des Arganbaums. Sie agieren so quasi als natürlich Erntehelfer, da die Arganernte von einem abgefressenen Baum erleichtert wird.
Und ja: So eine Ziege ist ein beeindruckender Kletterer – viel trittfester, als man zunächst vermuten würde. Mit ihren Stelzen schaffen die Tiere es geschickt und problemlos auf die Bäume. Wer Ziegen z.B. schon mal in den Alpen beobachtet hat, wird bestätigen können, was für elegante Kletterprofis sie auch an steilen Felshängen sind.
TV-Bericht über die Baum-Kletter-Ziegen in Marokko (englisch)
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Werden Baumziegen nur für die Touristen platziert?
In der Souss-Ebene ist die Landschaft trocken. Außer den Arganbäumen und kleinen Büschen, findet man in diesem Teil Marokkos nicht viel grüne Vegetation vor. Der Verdacht liegt also nahe, dass es eigentlich Unsinn ist, mit seinen Ziegen gerade hierherzukommen, wo außer den Arganfrüchten nicht viel anderes zum fressen zu finden ist.
Und das stimmt wahrscheinlich auch: Gab es früher noch etliche Nomaden in den Region, die hier mit ihrem Vieh lebten, sind es heute vor allem Hirten die aus den Regionen um Essaouira, Agadir und Marrakesch hierhin kommen. Das ganze hat sich mittlerweile nämlich schon zur wahren Touristensensation entwickelt. Tourguides legen hier einen kurzen Stopp ein, lassen die Touristen die Ziegen bestaunen und fotografieren und wer genau aufpasst, sieht wie danach etwas Kleingeld zwischen dem Guide und dem Hirten den Besitzer wechselt. Ein lukratives Zusatzeinkommen für viel Bauern!
Die Behauptung, dass die Schäfer ihre Ziegen selber in die Bäume setzen, ist aber nicht wahr. Vielmehr sind es die fehlenden Futteralternativen, die die Ziegen dazu zwingen in die Bäume zu klettern. Und die Argannüsse sind auch ein echter Leckerbissen und sehr beliebt bei den Nutztieren.
Es ist wie bei vielen Dingen, sobald der Massentourismus einsetzt: Der Kern der Geschichte ist wahr, aber für die Touristen wird gerne auch etwas inszeniert. Wandernde Nomadenvöler sind heutzutage in der Souss-Ebene nämlich zur Ausnahme geworden.
Kletternde Ziegen in Marokko: Tierquälerei?
Früher hielten die Hirten ihre Tiere sogar bewusst davon ab, die wertvollen Arganbeeren zu fressen. Inzwischen glaubt man aber, dass der Dung der Ziegen als hervorragender natürlicher Dünger fungiert. Außerdem können die Ziegen die harten Kerne nicht richtig verdauen und scheiden sie fast unverdaut – aber wesentlich weicher als zuvor – wieder aus. Die Hirten sammeln diese durch Fermentation veredelten Nüsse wieder ein und nutzen sie für die Arganöl-Produktion.
Die Tiere leiden also nicht, wenn sie vom Arganbaum essen. Sie aber nur in der trockenen Souss-Ebene auf Futtersucher zu schicken, um Touristen einen spannenden Fotomoment zu liefern, kann unter bestimmten Aspekten auch als Tierquälerei angesehen werden. Wenn dies dazu führt, dass die Ziegen zu dünn sind und unter Mangelernährung leiden, kann es für alle Beteiligten eigentlich kein schönes Erlebnis mehr sein.
Daher ist ein bisschen Reflexion angebracht, wenn man du dir die Baumziegen in Marokko mit eigenen Augen ansehen willst. Ein verrücktes Bild, geben sie auf jeden Fall ab!
Wann und wo kannst du Ziegen auf Bäumen sehen?
Du willst die trittsicheren Ziegen mal mit eigenen Augen sehen? Dann solltest du im späten Frühling oder Frühsommer kommen. Dann nämlich die Früchte des Arganbaums reif und die Ziegen steigen freiwillig auf die Bäume.
Leider wurden die Baumkletterziegen bei Reisenden dermaßen beliebt, dass Bauern sie nun auch ganzjährig in die Bäume schicken. Und das muss ja nicht sein und trübt mit Sicherheit deine Freude über diese außergewöhnliche Erscheinung.
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